La Paraméricana
Von Dave SchneidAIR
Wenn die Tage immer kürzer werden, die Anzeige auf dem Thermometer sich mehr unter als über der Nullgradgrenze bewegt und die wöchentlichen Sonnenstunden sich an einer Hand abzählen lassen, gibt es für uns Flieger nur eine sinnvolle Lösung: Ab auf die Südhalbkugel! Die Zürcher Gleitschirmschule paraworld.ch organisiert aus diesem Grund jeweils im Januar ausgedehnte Flugreisen in warme Gefilde – dieses Jahr ging’s für drei Wochen nach Peru und Chile.
Ohne sich um irgendwelche Details kümmern zu müssen, konnten wir uns in aller Ruhe innerlich auf den Trip vorbereiten – die gesamte Reise organisierte Südamerika-Kenner Ueli Neuenschwander. Schon Wochen vor dem Abflug stieg die Vorfreude merklich; sie tröstete mich und die anderen 15 Teilnehmer, darunter auch die Schneid-AIR-Piloten Sara und Stef, über das nass-graue Dezemberwetter in der Schweiz, über die immer weniger und kürzer werdenden Flüge der letzten Wochen und Monate hinweg.
Sara und ich flogen bereits am 6. Januar los, da wir zuerst noch im Norden Perus die Hochzeit von Saras Bruder miterleben wollten (was letztlich zwei Tage Brech-Durchfall zur Folge hatte :-) Der Flug über Madrid nach Lima, im engen Economie-Gestühl eingeklemmt wie die sprichwörtliche Sardine in der Dose, ist zwar lang und beschwerlich, nimmt man aber gerne in Kauf, wenn einem am Ziel Sonne und Wonne pur empfangen. 20 Grad erwarteten uns bei der Ankunft frühmorgens in Perus Hauptstadt – kälter wurde es die ganze Reise nicht mehr.
Lima: Fliegen an der Skyline
Am 9. Januar trafen dann auch die anderen Reiseteilnehmer in Lima ein. Uns zog es nach Miraflores, einem noblen Stadtteil an der Pazifikküste; hier ist ein tolles Fluggebiet direkt am Rand der Millionenstadt. Wir fanden im Hotel El Carmelo eine angenehme, preiswerte und vor allem nah beim Fluggebiet gelegene Unterkunft für die ersten sowie die letzten Tage unserer Reise.
Miraflores ist besonders reizvoll mit dem langen Strand, den trendigen Restaurants und der tollen Aussicht. Andererseits ist es fliegerisch wohl einmalig, da direkt an oder über der Skyline Limas mit ihren Hochhäusern und imposanten Hotelbauten geflogen werden kann. Der laminare Meerwind sorgt das ganze Jahr über für tolle Soaring-Bedingungen – selbst in der Regenzeit von Oktober bis Mai ist es in der Küstenregion meist trocken und fliegbar.
In Miraflores fliegt man wegen des Windes erst nachmittags, darum fahren wir am Vormittag etwa 25 km Richtung Süden nach Pacha Camac, ein kleines Dorf wenige Kilometer im Landesinnern gelegen. Normalerweise findet man dort hellbraune, staubige Hügel vor, ausgetrocknet vom trockenen Klima mit kaum je Niederschlag. Normalerweise – denn als wir dort ankamen, trafen wir eine völlig andere Landschaft an: sanfte, tiefgrüne Hügel welche in der sehr tiefen Wolkenbasis verschwanden. Und Nieselregen, die Ursache des unerwarteten, aber wunderschön kontrastreichen Grüns. Leider hat das Wasser nicht nur die Pflanzen spriessen lassen, sondern auch die Schotterstrasse zum Startplatz in eine Schlammrutschbahn verwandelt. Statt in 10 Minuten per Pickup ging’s halt in 45 Minuten per pedes die Schlammpiste hoch. Der kurze Marsch war erfrischend, wir alle klatschnass und völlig dreckig. Der längste Flug an diesem Tag dauerte nur wenige Minuten, weil die Bedingungen nicht passten – am Schluss der Reise wurden wir dafür an gleicher Stelle mit langen Thermikflügen entschädigt.
Paracas: Küstensoaring vom Feinsten
Die nächste Station legen wir in Paracas ein. Das traumhafte Küstenfluggebiet, rund 300 km südlich von Lima, liegt in einem Naturschutzreservat und wird von einheimischen Piloten nur selten beflogen, da es ausschliesslich per Auto erreichbar ist – ein Gedränge gibt es hier also sicher nicht. Verfügt man über keinen (Miet)-Wagen, kann am Start-/Landeplatz in Miraflores nach Fahrgemeinschaften, Flugschul-Shuttels oder Gleichgesinnten Ausschau gehalten werden; irgendwie lässt sich die Fahrt schon organisieren. Wir haben es gut, werden wir doch in einem Old-School-Schulbus – wohl dem langsamsten, aber auch stilvollsten Bus in ganz Peru – entlang der legendären Panamericana durch die Gegend chauffiert.
Gleich nach der Ankunft machen wir uns auf an die Steilküste, allerdings bläst der Wind nachmittags gerne zu stark für uns Gleitschirmflieger; hier zahlt sich frühes aufstehen aus. Das nehmen wir uns zu Herzen und stehen am nächsten Tag um fünf Uhr früh auf der Matte – allerdings (noch) nicht, um zu fliegen, sondern um per Schnellboot die vorgelagerten Inseln zu erkunden. Das Naturschutzreservat Paracas wurde nämlich zum Schutz von bedrohten Meerestieren gegründet – entsprechend lassen sich Blaufusstölpel, Pelikane, Mähnenrobben, Seelöwen oder Humboldt-Pinguinen beobachten. Und mit viel Geduld sieht man sogar den einen oder anderen Delfin aus dem Wasser springen.
Nach dem tollen Bootsausflug und einem stärkenden Frühstück im beschaulichen Fischerdorf stehen wir wieder mit den Schirmen an der langen Steilküste, und diesmal mit vollem Erfolg. Unter der gekonnten (und sehr geduldigen) Führung von paraworld.ch-Gründer Ueli, der professionell mit Rat und Tat durch die Reise führt, freunden wir uns mit den Starkwind-Verhältnissen an und starten in einen grandiosen Flugtag. Hier ist vorwiegend Küstensoaring angesagt: Stundenlang ruhig und entspannt im laminare Aufwindband entlang des einsamen Sandstrandes zu fliegen ist in dieser traumhaften Kulisse schlicht atemberaubend. Doch auch für ausreichend Fun ist gesorgt, denn der kräftig über die schroff ansteigende Küstenlinie blasende Meerwind lädt auch zum Spielen mit dem Schirm ein, am Boden wie in der Luft. Zwei Tage toben wir uns hier aus, bei perfekten Bedingungen – Glück muss man eben haben.
Das Reservat Paracas ist übrigens der grösste Distrikt in der Provinz Pisco, was uns zum nächsten Thema bringt: Keine Peru-Reise ohne Pisco Sour. Das trüb-weisse Nationalgetränk, bestehend aus dem Weinbrand Pisco, Limettensaft, Zuckersirup und Eiweiss, gehört zu Peru wie das Rindfleisch zu Argentinien und hat uns auf unserer Reise ebenso begleitet wie die stets scheinende Sonne und bescherte uns ebenso Freude – näher muss darauf aber nicht eingegangen werden.
Iquique: paragliding playground
Weiter geht’s per Flugzeug, in den Norden Chiles. Das sehr lang gezogene, dafür nur wenige Kilometer breite südliche Nachbarland Perus bietet uns Fliegern eine Menge – und das bei klimatischen Bedingungen, die so gut wie jeden Tag Flugwetter ermöglichen. Wir lassen uns in Iquique nieder, dem Mekka der Gleitschirmflieger. Hier erschuf der Schweizer Philip Maltry ein kleines Paradies für Piloten und solche, die es werden wollen: Direkt an der gigantischen Steilküste gelegen, die sich stellenweise bis 1000 m ASL erhebt, entstand aus komfortablen Wohn-Containern ein Feriendorf mit Kommunen-Charakter. Hier trifft sich die Fliegergemeinde aus der ganzen Welt, lebt, fliegt und feiert zusammen – grossartig!
Neben der Unterkunft verfügt der Flight Park aber auch über eine komplette Infrastruktur mit Mietautos, Mietausrüstungen, Verkauf von sämtlichem wichtigen Material sowie eine eigene Reparaturwerkstatt für Gleitschirme. Es gibt zwei Gemeinschaftsküchen, einen Grillplatz, gratis Internet und – ganz wichtig – Landemöglichkeiten im oder direkt neben dem Flight Park. Ausserdem bietet Philip neben Tandemflügen und der Gleitschirmschulung auch geführte Ausflüge wie z.B. Biwakfliegen an, und natürlich ist der ehemalige chilenische XC-Meister und mehrfache PWC-Teilnehmer immer für einen gut Rat zu haben.
Was Hawaii für die Surfer, ist Iquique für Gleitschirmflieger. Hier fliegt man 365 Tage im Jahr, hier kommen Streckenpiloten wie Acro-Cracks auf ihre Rechnung, hier ist ein Groundhandling- und Soaring-Paradies, hier kann so ziemlich alles ausprobiert und ausgelebt werden. Morgens geht’s nach Alto Hospicio, ein Klippenstart hoch über der Stadt, zum Thermikfliegen. Entlang dem Relief mischt sich der Meerwind mit ansprechender Thermik, was stundenlange Flüge mit grandioser Aussicht garantiert. Besonders reizvoll ist natürlich der Flug über die Stadt mit Landung am Strand – Aufmerksamkeit der Strandschönheiten inklusive!
Nach der obligatorischen Siesta trifft man sich in Palo Buque, einer Düne an der riesigen Steilküste, wenige Kilometer vor Iquique. Palo ist ein fantastischer Spielplatz – wer das nicht erlebt hat, hat definitiv etwas verpasst. Am Boden wird aufgezogen, dann lässt man sich vom Wind hochtragen, hängt sich quasi wie an einen Skilift, bis der rund 800 m hohe Hügelkamm überhöht ist – um die Höhe dann mit adrenalinfördernden Manövern wieder zu vernichten. Oder man spielt am Boden mit dem Schirm im laminaren Wind, kitet durch den Sand, wingovert der Düne entlang oder macht sich dem Hang entlang auf Erkundungstour – hier ist einfach alles möglich! Ist der Wind mal schwächer, ist auch ein Flug zurück nach Iquique (ca. 15 km) sehr reizvoll.
Pisagua: see the stars
Nach einigen Tagen Fliegen pur in und um Iquique machen wir einen Trip nach Pisagua, wo wir in der Nähe des kleinen Fischerdörfchens am Strand unter freiem Himmel übernachten. Natürlich wird aber auch hier geflogen. Oberhalb der Ortschaft liegt ein einfacher Startplatz, der den Einstieg in das laminare Aufwindband an der Steilküste ermöglicht. Hier sind die Felsen schroffer, die Küste herrlich zerklüftet, die Natur noch wilder und einfach wunderbar – der Flug darüber ist ein eindrückliches Erlebnis, auch wenn wir mit den Bedingungen weniger Glück haben und die angestrebte Toplandung nicht gelingt – dafür eine Landung in einer traumhaften, einsamen Bucht. Glücklicherweise bleibt uns ein langer Fussmarsch zurück in die Zivilisation erspart, da Einheimische uns auf der Ladefläche mitnehmen und auf einer abenteuerlichen Strasse, alles der imposanten Pazifikküste entlang, ins Dörfchen zurückbringen. Am Abend dann soaren wir an einer Düne oberhalb unseres Outdoor-Schlafplatzes auf und fliegen in der malerischen Kulisse bis weit nach Sonnenuntergang. Nach der Landung am Strand werfen wir ein grosses Stück Fleisch auf den Grill und plündern die Kühlboxen – perfekter kann ein Ausflug kaum sein!
Patillos: XC-Fliegen leicht gemacht
Wieder zurück in Iquique, steht Streckenfliegen auf dem Plan. Rund 60 km südlich liegt der Startplatz Patillos, die Strecke zurück ist auch ein Task der chilenischen Streckenflugmeisterschaften und hat durchaus ihre Tücken. Wir erwischen einen tollen Tag ohne zu starken Südwind, und nach dem kniffligen Einstieg (der Startplatz ist nur rund 50 m über Grund) finden alle in unserer Gruppe Thermikanschluss. Doch bereits 17 km weiter, bei der ersten Schlüsselstelle (wegen der hohen Absauf-Quote Cemiterio, Friedhof, genannt) verlieren die ersten die Geduld, um auf eine gute Ablösung zu warten – und werden mit einem Marsch in der drückenden Mittagsonne durch die Atacama-Wüste bestraft; an der Strasse sammelt uns Ueli allerdings mit dem Büsli ein und bringt uns zum verdienten Landebier. Einige schaffen es deutlich weiter, vorbei am Flughafen von Iquique, bis nach Palo Buque – hier ist wegen des aufgekommenen Südwinds jedoch für alle Schluss. Eine schöne Route, wegen den guten Landemöglichkeiten auch für Strecken-Einsteiger bestens geeignet, wegen der kniffligen Schlüsselstellen aber auch für ambitionierte XC-Flieger reizvoll.
Arica: Bis zum letzten Sonnenstrahl
Nach zwölf Tagen in Nordchile verlassen wir die Atacama-Wüste wieder in Richtung Lima, allerdings nicht ohne vorher noch das Fluggebiet in Arica an der chilenisch-peruanischen Grenze zu erkunden. Auch hier lockt eine grosse Düne sowie die schöne Küste gepaart mit dem laminaren Meerwind zu stundenlangen Flügen bis zum Sonnenuntergang.
Zurück in Miraflores zeigt sich der positive Nebeneffekt der Reise: Das fliegerische Können hat sich bei jedem Teilnehmer deutlich verbessert. Jeder handelt seinen Schirm nun im Schlaf, jeder startet nun sicher und gekonnt auch bei starkem Wind, die Toplandung auf dem begrenzten Landeraum in Miraflores meistert nun jeder spielend – auch die, die anfangs damit noch Mühe hatten.
Das Resümee nach dieser eindrücklichen Reise: Ich freue mich schon jetzt auf den nächsten Januar! Eine Flugreise durch Peru und Chile ist jedem ans Herz zu legen: Die warmherzige Kultur der Südamerikaner, die herrliche Pazifikküste, die wunderschöne karge Landschaft der Atacama-Wüste, die leckere Küche, vor allem aber die tollen Fluggebiete sind auf jeden Fall eine Reise wert.
In diesem Sinne: Hasta luego, América del Sur, bis zur nächsten «Paraméricana»!